Zu Besuch in Bolivien


Als ich mich vor anderthalb Jahren von Bolivien verabschiedet habe, wurde ich immer das Selbe gefragt: „Wann kommst du wieder?“
Damals konnte ich nur mit einem entschuldigen Schulterzucken antworten, doch in meinem Kopf war die Idee eines Besuches geboren. Nun ergibt sich logischerweise ein Zeitfenster von 5 Jahren, denn dann sind alle SchülerInnen die ich kenne bereits nicht mehr auf der Schule, und die sind der primäre Grund zurückzukommen. Und da die Klasse, von der ich damals Klassenvorstand war dieses Jahr maturiert, habe ich einen perfekten Anlass um zu kommen!



La Promoción, mis hijos

Umso glücklicher war ich, als sich zu Beginn dieses Semesters herausstellte, dass mein Studium es verkraften würde, wenn ich zwei Wochen fehlte. Zudem ist zur bolivianischen Maturazeit (November/Dezember) Nebensaison, und daher die Flüge um die Hälfte billiger. Versteh mich nicht falsch, es ist immer noch ein Batzen Geld, doch ich habe für mich beschlossen, dass es mir das wert ist. Auch mein ökologisches Ego stimmte mir zu, dass es den Schlag verkraften würde.
Also buchte ich mit den vagen Andeutungen der Bolivianer bezüglich des Maturadatums einen zweiwöchigen Trip nach San Ignacio, dem Dorf wo ich ein Jahr meines Lebens verbracht habe.

Wer diesen Herbst die Medien etwas verfolgt hat, dem dürfte aufgefallen sein, dass die politische Landschaft in Bolivien sehr im Wandel ist.
Der mittlerweile Ex-Präsident Evo Morales wurde im Oktober nach Vorwürfen der Wahlmanipulation zum Wahlsieger erklärt. Daraufhin begannen die Bolivianer auf die Straße zu gehen, und auch das Militär und die Polizei stellten sich auf die Seite des Volkes. Morales trat zurück und floh nach Mexiko. Doch die Proteste gingen weiter, nun aber von Seiten der Anhänger Morales. Es kam zu teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen, gerade in der letzten Woche vor meinem Abflug erreichten uns wieder erschreckende Nachrichten von Toten bei Protesten.



Ex-Präsident Evo Morales, zu Besuch in San Ignacio als ich noch dort war - © Caspar Conradi

Ich fragte bei meiner damaligen Einsatzleitung nach, doch diese beruhigte mich. Die meisten Proteste waren im Westen des Landes, wo Morales immer große Unterstützung hatte. In San Ignacio war alles ruhig, mit Ausnahme von einigen Straßenblockaden, von denen ich hoffte sie würden mich nicht betreffen.
Halbwegs beruhigt mache ich mich also ans Packen. Durch meinen Billigflug bin ich auf einen kleinen Rucksack beschränkt, andererseits ist es dort doch eh heiß, was kann man schon groß brauchen?

Anreise

Eines schön kühlen Novembertages mache ich mich also auf zum Wiener Flughafen.
Herr Sparefroh hat natürlich den günstigsten Flug gebucht, dadurch ist die Reise recht langwierig, und Herr geizig will nicht die Flughafenpreise für Essen bezahlen, daher ist sie auch hungrig.
Im Trans-Atlantik-Flugzeug ergattere ich aber zwei Portionen Abendessen und schlafe dann tatsächlich recht gut.




Ich lande frühmorgens in Lima und habe dort den ganzen Tag Zeit, bevor nach Mitternacht der nächste Flieger nach Bolivien startet. Diese Zeit lasse ich natürlich nicht ungenutzt, und da ich Lima damals nur auf der Durchreise gesehen habe, freue ich mich umso mehr!
Es ergeben sich aber natürlich sofort einige Komplikationen, die überwunden werden müssen. 

Eigentlich wollte ich mich frech durchfragen und einen öffentlichen Bus ins Zentrum nehmen, um dort eine Free Walking Tour zu besuchen. Doch das ist schwerer als gedacht, mein Spanisch ist nicht mehr das, was es einmal war, und ich bin halt doch ein Tourist und kein Einheimischer mehr. Also gehe ich es sicher an und nehme den etwas teureren, aber dafür sicheren und einfachen Touristenbus ins Reichenviertel Miraflores. Es ist zwar Frühling hier, aber mit 15 Grad doch recht kühl. Trotzdem läuft die Klimaanlage natürlich auf Volltouren!

Jetzt habe ich die erste Tour verpasst, zum Glück gibt es am Nachmittag aber noch eine.
Ich schnappe mir einen öffentlichen Bus ins Zentrum und gehe dort ganz günstig und lokal mittagessen. Das ist das Schöne an diesem Urlaub, ich kenne mich aus! Es ist nicht mehr alles neu und überfordernd. Ich weiß wo man günstige Mittagsmenüs findet und kann mich mit den Einheimischen verständigen. Das macht so einen Trip um einiges unkomplizierter.



Limas Hauptplatz könnte in jeder südamerikanischen Stadt sein


Prioritäten: Ein Fußballplatz auf der Kirche

Am Hauptplatz spricht mich ein älterer Herr an. Saúl ist Bolivianer und spielt in einer traditionellen Band die laut ihm recht erfolgreich ist. Sie fliegen sogar nach Frankreich zu einem Festival lateinamerikanischer Musik! Er dachte ich sei vielleicht Franzose und könnte ihm etwas Französisch beibringen.
Während des Gesprächs verfolgt mich dasselbe Gefühl wie so oft, wenn man dort als Europäer von Fremden angesprochen wird. Eigentlich ist es ziemlich interessant, sie können einen auch gut umschmeicheln und man fühlt sich wohl – naja, nicht ganz, denn man wartet immer auf den Moment wo der Gesprächspartner einen um irgendetwas bittet. Sei es ein bisschen Geld, ein Gefallen oder ein Beweisfoto.
Seine Trompete ist nämlich kaputt und ich erwarte irgendwie, dass er mich um Hilfe bittet. Das ist natürlich eine große Annahme von meiner Seite, die aber leider oft bestätigt wird. Um die Trompete geht’s am Ende nicht, aber er lädt sich selbst auf einen Pisco Sour (traditionelles peruanisches Getränk) ein, das meinem genau einkalkulierten Budget für diesen Lima-Tag einen deftigen Schlag versetzt. Ganz am Ende möchte er auch noch etwas Geld für ein Mittagessen haben. Doch so sehr ich die Gesellschaft genossen habe, ich bin kein reicher Wohltäter und möchte auch nicht das stereotypische Bild vom reichen Europäer verstärken.




Er zeigt mir auch seine 40 Jahre jüngere italienische Freundin. Gerade bei Fremden die einen ansprechen bekommt man oft das Gefühl, als würden sie weiße Trophäen sammeln.
In San Ignacio ist das zum Glück sehr anders. Gerade in der Schule spielt unsere Hautfarbe und Herkunft nicht eine so große Rolle, außer dass natürlich immer angenommen wird wir haben viel Geld, was ja andererseits auch stimmt. Ich kann mir als Student die Reise nach Bolivien leisten.


Aktuell bin ich aber gar nicht reich, denn ich habe nicht mehr viel peruanisches Geld übrig. Das muss noch für die Free Walking Tour („Free“ heißt natürlich Spende), Abendessen und die Reise zurück zum Flughafen reichen. Ich schaffe es tatsächlich, mit meinen letzten Groschen den Bus zu bezahlen!



Nach anfänglichen Startschwierigkeiten fühle ich mich nach einem Tag schon wieder ganz zuhause in der Latino-Kultur. Es ist, als wäre keine Zeit vergangen seit meinem letzten Besuch, ein Gefühl, das mich noch öfters übereilen wird.
Gerade die Ankunft am Flughafen in Santa Cruz, der Großstadt in der Nähe von San Ignacio, ist eine Erinnerung, dass die Dinge in Bolivien anders laufen. Alle größeren internationalen Flughäfen die ich bisher kenne waren ziemlich ähnlich, doch hier ist alles nur so halb. Halb professionell, halb sauber, halb organisiert. Ach, ich habs vermisst!
Es ist 4 Uhr morgens und so habe ich noch keine Möglichkeit in die Stadt zu kommen. Also mache ich es den Bolivianern gleich und lege mich auf den Steinboden in einer Ecke, um eine Mütze Schlaf nachzuholen.

Die spätere Busfahrt zum Busterminal erinnert mich schon sehr stark an alte Zeiten. Schön, wenn man weiß was man rufen muss damit der Bus stehenbleibt, und wieviel Geld man dem stoisch nach vorne schauenden Busfahrer in die Hand drücken muss.
Ich buche mir einen Übertagsbus in das 400km entfernte San Ignacio, etwas das ich damals nie gemacht habe, und gehe noch schnell frühstücken.
Auch hier werde ich an etwas sehr bolivianisches erinnert: Den Zuckerkonsum.
Ein Herr neben mir kauft sich einen Becher Kaffee, und beginnt Zucker hineinzukippen.
Ich zähle gespannt mit. Nach vier gehäuften Löffeln kostet er, schüttelt den Kopf und kippt drei weitere hinein. Erst dann nickt er zufrieden.
Nebenher schaue ich auf den großen Bildschirmen im Warteraum die selben bolivianischen „Verstehen sie Spaß?“ Folgen wie vor zwei Jahren.



Die Natur sieht hier überall ziemlich ähnlich aus
Abends in San Ignacio angekommen schnappe ich mir ein Mototaxi und fahre zur Casa MAZ, meiner damaligen Unterkunft. Auch diese Fahrt ruft viele Erinnerungen hervor. Es ist eines der schönsten Gefühle für mich, im Dunklen mit dem Fahrtwind im Gesicht hinten auf einem Moto durch das Dorf zu fahren.
Mich erwarten die aktuellen Freiwilligen, mit denen ich in den nächsten Wochen sehr viel Zeit verbringen werde. Schön, sich mit Fremden sofort so gut zu verstehen, wenn man ein Thema hat über das man sich sofort austauschen kann!
Dann falle ich müde nach 60 Stunden Reise endlich in ein echtes Bett.



Casa MAZ, meine alte Heimat. So unverändert

Der Garten immer noch voller Gaben

Sogar unsere Andenken hängen noch

Auch die Zimmer genau so spartanisch

Letzte Schulwoche

Leider ist es kein allzu langes Vergnügen, denn am nächsten Morgen ist Montag, das heißt Acto Civico. Für alle neuen Leser, der Acto Civico ist ein allwöchentliches Ritual wo alle Schüler frühmorgens mit schicker Uniform in militärischen Stirnreihen stehen, die Nationalhymne singen, beten, und einige Reden geschwungen werden.
Ich selbst darf auch einige Willkommensworte sagen, und werde sogleich von der Maturaklasse zu einem Tanz aufgefordert.




Den ganzen Tag über begrüße ich SchülerInnen, in den langen Stunden im Flugzeug habe ich die Namenslisten noch einmal durchgesehen, und kann mich tatsächlich an sehr viele Namen erinnern!
Ich bin wirklich glücklich hier zu sein. Der Gedanke, um die halbe Welt zu reisen, und sich doch wieder so daheim und willkommen zu fühlen ist sehr erfüllend.
Hier ist mittlerweile die letzte Schulwoche angebrochen, das heißt es schwankt zwischen hektischen letzten Prüfungen, und sehr entspannten Zeiten.
Ich trinke Chicha (gegorener Maissaft), quatsche mit den Kindern, strolle durch die Schule, und schaue den Volontären beim Unterricht zu.

Auf den Ruf „Profe!“ reagiere ich noch immer so reflexartig wie damals.


Meine alte Arbeitsstätte: Die Computación

Essensmäßig geht am ersten Tag gleich die Post ab: Es geht von Vormittagsjause und Mittagessen zu Nachmittagsjause, zum „Prüfungsessen“ der Spezialität Gastronomie, dann zum normalen Abendessen, und danach zum Abschlussessen der Promoción. Danach wird natürlich verpflichtend noch getanzt!



Am Heimweg bewundere ich wieder einmal den unglaublich spektakulären Sternenhimmel. Ich wünsche jeden, dass er einmal die Gelegenheit hat, an einem wolkenlosen und nicht lichtverschmutzten Fleck auf der Erde diesen Anblick zu genießen. Es ist immer wieder atemberaubend!
Der zweite Tag ist bereits etwas hektischer, denn es gibt einiges zu erledigen. Und in Bolivien funktioniert nichts einfach so wie es sollte! Alles ist ein Abenteuer.
Zuerst lasse ich nach langem hin und her mein Handy freischalten, sodass ich hier eine SIM Karte benutzen kann. Dann möchte ich nach Hause um Schokolade zu holen, die ich den MaturantInnen mitgebracht habe. Doch dort angekommen merke ich, dass ich den richtigen Schlüssel nicht habe. Also zurück in die Schule, den Schlüssel holen, heim Schokolade aufgabeln und wieder zurück. Immerhin freuen sie sich sehr darüber!
All die Herumfahrerei in der prallen bolivianischen Sommersonne ist aber etwas zu viel, also gehe ich (noch einmal) heim um mich auszuruhen.




Ich habe einige interessante Gespräche, eines davon mit einer neuen Schülerin, die halb Spanierin und halb Bolivianerin ist. Das merkt man sofort, natürlich im Aussehen, aber auch an ihrer Art und dem Gespräch das wir führen. Sie blickt sehr kritisch auf die verschiedenen Lebensstile in Spanien und Bolivien, und auch auf die Arten von Beziehungen die Bolivianer führen. Solche Gespräche sind mir damals abgegangen.
Mit einem befreundeten Lehrer spreche ich auch über Freiwillige die zurückkommen. Das kommt nämlich nicht sehr oft vor. Und er versteht auch besser den finanziellen Aufwand, den so eine Reise bedeutet, denn die Kinder haben da noch kein wirkliches Gefühl davor. Weder für die Entfernung noch die involvierten Kosten und Anstrengungen.


Am Donnerstag darf ich einmal erneut die bolivianischen Organisationskünste bewundern.
Die vierte Klasse will in der Früh zum Schulschluss ins Schwimmbad gehen. Dann ist es aber recht kühl, und einige Schülerinnen haben noch eine Prüfung. Die zuständige Professorin ist aber beschäftigt. Dann verschiebt sich der Plan von Schwimmbad zum See, dann zu einem Spaziergang. Dann doch wieder zum Schwimmbad. Zu Mittag ist noch immer nichts passiert. Die Lehrerin meint ganz zuversichtlich „Um eins gehen wir dann!“ Aber die Mädels aus dem Internat müssen am Nachmittag dort putzen, und die Lehrerin selbst hat eigentlich eh Notenkonferenz am Nachmittag. Also wird am Ende doch nichts draus.. Schade, denn in meinem ganzen Jahr hier war ich nicht ein Mal in dem Schwimmbad!
Witzig, wie man hier seine Tage verbringt! Mit viel nichts tun und schwitzen.
Aber ich lasse mich von solchen Planänderungen schon lange nicht mehr stressen, zumindest das habe ich in Bolivien gelernt.


Freitag ist Tag der Limpieza, wo die ganze Schule geputzt, und teilweise auch neu gestrichen wird. Das ist immer ein ziemliches Fest, überall lauft laute Musik und die Kinder schleifen in der Wiese an Tischen, schrubben Böden, streichen Wände, schenken Chicha und Essen aus oder liegen einfach auf der faulen Haut. Ich helfe mit, die Computación zu putzen, und fühle mich einmal mehr zurückversetzt. Wie oft habe ich diesen Boden gekehrt?



Maturareise

Zu einer ordentlichen Matura gehört natürlich eine Maturareise! Ich werde von den Jugendlichen liebevoll als Papi ihrer Promoción bezeichnet, und finde es super, sie auf dieser letzten gemeinsamen Reise begleiten zu können.

Diese wird uns über die nächsten Tage im eigens gecharterten Bus bis nach Brasilien führen, ins 600km entfernte Corumbá.





In grün die Reiseroute. Österreich im Größenvergleich

Unser Zuhause für ein paar Tage
Mit einiger Verspätung, weil eines der Mädchen nicht auftaucht, und natürlich kein Handy besitzt, fahren wir los. Der Bus ist ziemlich okay, man kann die Sitze recht weit zurücklehnen, leider bewegt sich dadurch auch die Sitzfläche nach vorne, und die Dimensionen sind nicht auf großgewachsene Europäer ausgelegt. Die Klimaanlage sind die andauernd geöffnete Fenster. Das ist gerade beim Schlafen manchmal unangenehm. Andererseits ist die Befriedigung den Kopf hinauszustrecken und die Landschaft zu betrachten sehr hoch!


Das Unangenehme ist aber die Straße, denn die ersten 200 Kilometer sind Sandpiste, und durch die Regenfälle hat sich diese in die reinste Holperpiste verwandelt. Dadurch ist der Schlaf etwas gestört, denn zuerst fahren wir über Nacht bis zur Grenze.
Die Landschaft und Vegetation sind hier überall ziemlich ähnlich. Hin und wieder fährt man durch Hügel oder kleine Berge. Diese werden wir uns bei der Rückreise näher ansehen. 


Die Natur könnte man so beschreiben: Flach und grün.

Die Straße schnurgerade. Warum auch Kurven machen?

Wir kommen zuerst in Puerto Quijarro an, der bolivianischen Grenzstadt. Dort suchen wir uns einen Park mit Grillmöglichkeit. Doch zuerst gibt es noch das trockenste Frühstück, bestehend aus trockenem Brot mit Nichts, noch trockenerem Gebäck, trockenem Yuca-Mehl (Yuca ist ähnlich der Kartoffel, ein dort sehr verbreitetes Nahrungsmittel) und unglaublich saftigem, leckerem Kuchen. Der rettet alles!




Zum Glück haben wir aber noch mehr Essen mit, denn wo der Bolivianer hingeht darf seine gesamte Küchenausrüstung nicht fehlen.
Alle packen mit an, und wir veranstalten ein Churrasco (die bolivianische Grillerei). DER Klassiker für alle Lebenslagen, aber dadurch nicht weniger schmackhaft!
Ein Unterschied zu San Ignacio ist, dass es hier noch heißer ist! Die Temperaturen klettern auf über 40 Grad. Bei einem fünf-minütigen Spaziergang zum Markt um Wasser zu kaufen hole ich mir schon einen Sonnenbrand. Zumindest schimpfen auch die Bolivianer, also ich bin nicht der Einzige der leidet.
Nach einem Mittagsschlaf am überdachten Beton beschließt die Lehrerin spontan, dass wir nach Brasilien fahren!



Bei über 40 Grad ist auch den Bolivianern heiß

Fahren stellt sich leider als etwas schwierig heraus, denn die Schaltung im Bus ist kaputt. Während wir also im ersten Gang über rote Ampeln zuckeln, versucht der Busfahrerassistent mit Druckluft, herumstehenden Kabeln und ein bisschen liebevoller Gewalt den Schaltknüppel zu überreden.



Während dem Fahren den Schaltknüppel reparieren? Kein Problem!

Gerade als alles wieder glatt läuft steigen wir jedoch aus. Der Bus darf nicht über die Grenze. Also teilen sich die 30 Leute auf viele, viele Taxis auf (die heißen hier NOAH) und wir reisen ohne Kontrolle nach Brasilien ein, in die Grenzstadt Corumbá mit immerhin 100.000 Einwohnern. Auch wenn sie kleiner wirkt! Aber das kommt einem hier immer so vor.


Die Unterschiede zeigen sich sofort! Alles ist ein bisschen reicher, sauberer, besser organisiert. Die Leute sehen irgendwie auch brasilianischer aus, ziemlich anders als die Bolivianer ein paar Kilometer hinter uns.
An der Grenze zu Brasilien



Einfach etwas schicker!

Am Weg durch die Stadt verlieren wir einige Jungs. Blöd, denn sie wissen nicht wo wir hingehen und Empfang hat hier auch keiner. Zum Glück finden wir sie am Rückweg wieder, doch sie bekommen eine ordentliche Standpauke. Das können die Lehrer hier sehr gut!


Zurück in Bolivien warten wir auf den Bus, und gönnen uns dabei 2 Wasserflaschen für die 30 Leute. Für die Reise greifen viele eh schon tief in die Tasche, da ist nicht mehr viel Luxus drinnen. Das heißt günstig im Markt essen, nur im Bus schlafen und eben keine Leckerchen zwischendurch. Mit Ausnahme von Lutschern. Und Bonbons. Und Süßgetränken! Das darf natürlich nie fehlen!
Glücklicherweise für uns ist aber ein anderer Herr in dem Lokal auch Ignacianer, und spendiert uns noch ein paar Flaschen Soda. Hier ist Soda aber kein Sprudelwasser, sondern der Überbegriff für Cola, Fanta und Co.


Wir fahren in den Nachbarort Puerto Suarez, der am See Caceres liegt. Dort wird erstmal geduscht! In folgender Manier:
Die SchülerInnen verlassen in Vierergruppen den Bus, der letzte bekommt 20 Bolivianos in die Hand gedrückt. Dann schwärmen alle in verschiedene Richtungen aus und suchen öffentliche Duschmöglichkeiten. Mann, tut das gut den Schweiß und Dreck abzuwaschen!
Die Nacht ist wie erwartet nicht übermäßig bequem, aber zumindest bewegt sich der Bus nicht! Die Handys werden in der Polizeistation geladen. Überhaupt ist gefühlt eine der Hauptbeschäftigungen die Suche nach Möglichkeiten die Dinger wieder aufzuladen.
Ich bin immer wieder erstaunt über die Jugendlichen hier, und wie anders ihre Ansprüche sind als bei uns. Und sie sind teilweise extrem reif und eigenständig. Auch die pubertierenden Mädchen waschen mal ungefragt alle Töpfe nach dem Kochen ab.
Man stelle sich vor, man fährt in Österreich mit 26 Jugendlichen ein paar Tage in einem klapprigen Bus in einer Affenhitze über Dreckstraßen, schläft mehr schlecht als recht im Bus und isst nur das Notwendigste. Da könnte man sich viel anhören!

Hier absolut kein Thema, niemand äußert irgendwelche Beschwerden.

Es ist Sonntag, und wir versuchen in zwei Dörfern vergeblich Mittagessen aufzutreiben. Am Ende fahren wir zu einem Schwimmbad und kochen selbst. Nudelsuppe mit Huhn und Salat.


Alle packen mit an beim Mittagessen kochen

Waschbottiche voller Salat

Der typische bolivianische Hinterhof

Schwimmen ist herrlich, in Bolivien echt eine Seltenheit. Es gibt hier auch viele Jugendliche die nie schwimmen gelernt haben, wo auch?
Abendessen verläuft ähnlich wie die Duschgeschichte. Zehnerteams suchen sich irgendein Lokal wo sie Essen um 10 Bolivianos finden (stolze 1,30€).

In dieser Nacht regnet es durch die geschlossenen Fenster, und mein ganzer Rucksack (inklusive neuem Pass) werden durchweicht. Auch die Schwimmsachen trocknen nicht wirklich. Aber es ist ja nicht mehr so lange, einfach durchhalten!
Wir sind mittlerweile in Chochis. Dort gibt es einen heiligen Berg, doch dort waren sie schon einmal. 

Also spazieren wir im Regen zu einem Wasserfall. Dabei kommen wir an Schienen vorbei. Hier gibt es nämlich tatsächlich eine Bahnstrecke, allerdings nur für Güter. Und der Zug fährt in Jogging-Geschwindigkeit. Der Wasserfall ist aber wirklich schön! Und das Wasser so warm, dass man baden kann.
Es werden Selfies und Fotos ohne Ende geschossen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Bilder auf dieser Reise entstanden sind. 


Das Schwimmbad hat wegen Regen zu, also fahren wir stattdessen zu einer Felsformation namens „Valle de la Luna“, genau wie damals in La Paz.
Dort hat man einen super Ausblick über die Gegend. Sehr viel flach und sehr viel grün.



Der heilige Berg bei Chochis


Der "Wasserfall der Freundin"
Das "Valle de la luna"

Ab jetzt geht es ziemlich direkt nach Hause, am Abend wieder über den holprigen Straßenteil. Dabei wird lautstark gesungen und gegrölt, zu den aktuellen Reggaeton-Hits.

Immer wieder auf der Reise kommt mir der der Gedanke, was mich geritten hat, mitten unter dem Semester für teures Geld um die halbe Welt zu fliegen, um dort mit einem klapprigen Bus ein paar Tage über schlechte Straßen und mit kaum Schlaf, dafür umso mehr Moskitos und grenzwertigen Temperaturen zu fahren. Ich muss wohl auf Abenteuer stehen!


Die Straße verspricht eine holprige Fahrt!

Und doch, auch wenn man sich die selbe Frage stellt, als Leser in einem bequemen Lehnstuhl neben dem Kaminfeuer im romantisch weihnachtlichen Österreich, doch kann ich sagen, dass ich diese Reise unglaublich genossen habe!
Eben um mir das Glück und den Wohlstand einmal mehr ins Gedächtnis zu rufen, das wir in Europa haben. Um ein bisschen zu üben, auch mit schwierigen und unvorhergesehenen Situationen umzugehen, und trotzdem den Moment genießen zu können. Und natürlich wegen der tollen Gesellschaft, die mir sehr am Herzen liegt, und oft so herzlich ist, etwas das mir in Europa oft fehlt.

Graduación

Am Tag darauf fällt mir wieder einmal auf, womit man hier den Hauptteil seiner Zeit verbringt: Nämlich Dinge zum funktionieren zu bringen!
Es müssen Kuverts für Einladungen bedruckt werden. Ich kann mich dunkel erinnern, dass wir das damals auch gemacht haben, und dass es nicht einfach war. Und bis wir die richtige Einstellung und das richtige Format samt Orientierung beisammenhaben vergeht eine halbe Stunde. In einer österreichischen Schule gibt es sicher einen Druckbeauftragten, der sich da super auskennt. Oder Drucker, die das automatisch machen können.
Außerdem funktioniert einige Tage das Internet nicht. Irgendwo hat es anscheinend zu viel geregnet, und Fernsehen sowie Internet leidet sehr darunter. Unpraktisch, gerade in der Phase wo alle Lehrer online Noten eintragen müssen und die Sekretärin den bürokratischen Supergau bändigt. Aber wie war noch unser Motto damals? Muss da wurscht sein.
Ich soll für die Maturafeier außerdem Musik auftreiben. Mit den präzisen Angaben (eine Marschmusik und ein Walzer) mache ich mich am Schulserver auf die Suche. Dann versuche ich einen ganzen Vormittag mit dem stockenden Internet einen dreiminütigen Walzer herunterzuladen (ohne Erfolg). Doch ich weiß, irgendwie wird es schon funktionieren. Tut es am Ende auch (und den Walzer haben wir dann doch nicht gebraucht).





Abends spielen wir Fußball, und meine Sammlung an Andenken erhöht sich noch einmal beträchtlich. Zu meinen Aufschürfungen und abgerissenen Hautstücken vom Schwimmen (und einer sehr fiesen Eisenleiter) und blutigen Flipflop-Blasen (bin die Dinger echt nicht mehr gewohnt) kommen noch ein paar blaue Flecken und Prellungen, sowie großer Blasen am Fußballen dazu. Sport hat hier generell eine etwas direktere und intensivere Natur.
Trotzdem komme ich nicht umhin, die Sportbegeisterung der Bolivianer wieder einmal zu bewundern. Wie viele Abende habe ich hier verbracht, und mit den Betreuerinnen Basketball gespielt.


Die Mitarbeiter des Internats der Schule veranstalten zu meinen Ehren ein Churrasco. Doch siehe da, diesmal gibt es andere Sachen! Ich habe also die Gelegenheit zum ersten Mal in meinem Leben gegrilltes Herz und Euter zu probieren. Beides erstaunlich schmackhaft! Dazu einige Krüge Caipirinha und viele „Salud“-Rufe, und natürlich das obligatorische Tanzen.


Ich probiere zum ersten Mal Rinderherz

Churrasco, der Klassiker für alle Lebenslagen

Mit diesen Leuten habe ich eine echt angenehme Verbindung! Sie freuen sich sehr, dass ich wiedergekommen bin, und dass wir diesen Abend gemeinsam verbringen können. Auch in meinem Jahr haben wir viel gemeinsam gegessen, gefeiert und Sport gemacht.
Generell freuen sich natürlich viele, und sind auch erstaunt, dass ich sie nicht vergessen habe. Wo ich mir denke, dieses Jahr war so prägsam für mich, das werde ich nie vergessen, und auch die Leute nicht!
Der Donnerstag ist Tag der Graduación, der Maturafeier. Diese sind hier wirklich prunkvoll, und laange!
Doch eine Stunde vor Beginn ist noch keiner da, und alles so halb aufgebaut. Dann kommen sie drauf, dass ja vielleicht Boxen nicht schlecht wären. Ach ja, und ein Beamer, für das Video. Aber das ist auf CD! Wir haben keinen Laptop mit CD-Laufwerk. Oh, und eine Projektionsfläche wäre gut! Da gab es doch noch diesen weißen Stoff.. Blöd, dass da die Sonne von hinten drauf scheint! (Das Video wurde am Ende übrigens nie gezeigt)
Und viel schwerwiegender, das lange Verlängerungskabel ist kaputt! Das heißt wir haben gar keinen Strom, bis es jemand schafft, das zu reparieren.
Kein Wunder, dass die Lehrerin leicht gestresst ist! Aber alle gehen das ganz gemütlich an, wird schon werden! Und so ist es ja am Ende auch!
Die Maturanten und Maturantinnen samt Eltern haben sich in Schale geworfen für diesen wichtigen Tag. Der Aufbau ist finde ich auch ganz besonders! Vorne eine Bühne, wo die ganzen Zertifikate verteilt werden, in der Mitte ein hochzeitlich anmutender Durchgang samt Bogen und Blumen, und rundherum verteilt alle Tische und Stühle der Schule. Jeder Familie bekommt einen Tisch, den sie auch vorzüglich dekorieren und mit Speis und Trank zum Bersten bringen.



Als die Schüler einer nach dem anderen nach vorne laufen, geführt von ihren Eltern, erzählt der Kommentator zu jedem ein paar Fakten. Was war die Spezialität, das Lieblingsfach, was will er/sie studieren, was sind die Hobbies? So lerne ich doch noch einmal ein paar Dinge mehr über die Jugendlichen.
Diese bekommen dann Zeugnisse und Zertifikate für alles. Und zwar wirklich alles!
Auch Reconocimientos (Danksagungen) werden verteilt, und ich bekomme eines! Zwar mit falsch geschriebenem Namen, aber ich bin trotzdem gerührt!
Dann werden Fotos geschossen bin zum geht nicht mehr, ich bekenne mich da mitschuldig. Tränen fließen, und es liegt wirklich eine Aufbruchsstimmung in der Luft. Das Ende von sechs Jahren gemeinsam, eine Gemeinschaft die man auf der Reise noch einmal sehr gut zu spüren bekommen hat.
Einige Stunden später kommt leider der kalte Südwind, und alle verduften ziemlich schnell nach Hause.
Das war mein letzter Tag in der Schule! Meine vage gebuchte Reise hat sich wirklich hervorragend in die Termine hier eingefügt!




Rückreise

Nun steht die lange Rückreise bevor. Ich stopfe all meine Habseligkeiten wieder in meinen kleinen Rucksack und mache mich ein letztes Mal auf zur Schule. Dort werde ich noch einmal lange und herzlich verabschiedet, auch von den Volontären.
Es ist zwar natürlich schade wieder zu gehen, aber wie damals fällt mir der Abschied nicht sehr schwer. Ich habe die Zeit die ich hier war sehr genossen, aber es ist auch gut, wieder nach Hause zu fahren.
Die lange Busfahrt ist nicht viel spektakulärer als bei der Hinreise. Als wir stehenbleiben, und der Fahrer ruft „15 Minuten“ denke ich an eine Pinkelpause. War aber die Mittagspause. Also rausgehopst, schnell ein Pollo con Arroz runtergeschlungen, und schon geht’s weiter!
Ich habe immer noch meine eine lange schwarze Hose an, die ich die meiste Zeit hier getragen habe. Witzig, dass man bei +40 Grad die selbe Hose tragen kann wie bei -1 Grad.
In Santa Cruz esse ich am Abend noch schnell ein ... Pollo con Arroz! Was denn sonst! Leider ist es eines der eher schlechten. Mit einer Machete in vier Teile zerhackt, und mit Nudeln, Reis und Pommes als Beilage.
Nach einer sehr unbequemen Nacht am Flughafen gehe ich um 4 Uhr zu meinem ersten von vier Flügen. Selbst der Arbeiter am Flughafen ist erstaunt über eine solche Anzahl.
Und noch ein allerletztes Mal darf Bolivien mich überraschen. Denn als ich meine halbvolle 2-Liter-Flasche bei der Kontrolle wegwerfen möchte, schüttelt der Flughafenmitarbeiter nur den Kopf, und winkt mich samt Flasche durch. Man muss es einfach lieben!
Meine Flüge führen mich zuerst zurück nach Lima, dann ins krisengebeutelte Chile, und über Madrid mit der Klimakonferenz (das schlechte Gewissen meldet sich) zurück nach Wien.


Der Flug über die Anden ist spektakulär!

Man ist gar nicht mehr so hoch über den Gipfeln

Die Zeit auf den Zwischenstopps totzuschlagen macht mir mittlerweile keine Mühe mehr.
Doch mein Hintern meldet sich nach 60 Stunden dann doch, dass er gerne mal Abwechslung hätte.
Ich merke, dass ich zurück bin, als die Österreicher in der Schlange zum Boarding beginnen sich aufzuregen, als die angegebene Uhrzeit um ganze 3 Minuten überschritten wurde!
Von Oben sieht man außerdem wie dicht besiedelt Österreich ist, ganz im Gegensatz zu Bolivien, dass ähnlich viele Einwohner bei 12-facher Fläche hat.
Ich genieße die Kälte, und fühle mich überhaupt wieder pudelwohl in Österreich.

Mein Fazit?

Die Reise hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ich erinnere mich, als ich damals begonnen habe mich für ein freiwilliges Jahr zu interessieren, haben mir Leute immer vorgeschwärmt wie toll ihre Einsatzstelle war, und wie viel sie damit noch verbindet, wie viel Kontakt sie haben, und dass sie vielleicht sogar wieder hinreisen.
Ich war damals etwas kritisch. Man fährt da halt ein Jahr hin, arbeitet, und kommt dann wieder. No big deal. Aber der ist es eben doch. Man baut eine sehr enge Verbindung auf, die einem auch das ganze Leben erhalten werden wird.
Und auch wenn sich dieser Blog vielleicht stellenweise etwas negativ liest, weil viele Dinge eben passieren, die ungewohnt und auch manchmal schwierig sind, so empfand ich es nicht.
Man lernt sehr gut damit umzugehen, und das Leben auf eine andere Art zu genießen.
Ich bräuchte sehr viel mehr Platz, um all die netten kleinen Begegnungen zu schildern, und es ist gar nicht so einfach dieses Gefühl der Hingezogenheit zu diesem Ort in Worte zu fassen.
So bleibt mir nur ein großes Dankeschön an alle Menschen in Bolivien, meine damalige Einsatzleiterin, die aktuellen Volontäre, die mich in ihre kleine Familie aufgenommen haben, die Maturaklasse, die ihren Papi so liebevoll empfangen hat und natürlich auch alle anderen Schüler und Lehrer.


Hasta luego!

Kommentare

  1. ein sehr berührender Bericht, Valentin. Ich kann es gut nachempfinden, weil ich auch vor vielen vielen Jahren in Brasilien öfter war und das Leben dort etwas kennenlernen durfte.... und auch vor ein paar Jahren 3 Wochen im Dschungel in Peru mit tiefen Erfahrungen beschenkt wurde....
    Ich denke, dass dich der einjährige Aufenthalt in Bolivien und jetzt auch dein Wiedereintauchen in diese für uns so andere Welt sehr geprägt hat und weiterhin Einfluss nimmt auf dein weiteres Leben.
    Ich gratuliere dir, du bist ein toller Bursche!!

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